So richtig war der Frühling noch nicht da, als der kleine Marienkäfer rüde aus dem Winterschlaf gerissen wurde. Eine feuchte Hundeschnauze hatte die Blätter, unter denen er sich sein Winterlager eingerichtet hatte, aufgerüttelt. Dem kleinen Käfer war kalt. Mit aller Kraft klammerte er sich an das dicke Eichenblatt. Gerade noch rechtzeitig, denn schon schleuderte die in der Erde grabende Hundepfote das Blatt weit von sich weg auf ein sonniges Rasenstück.
Hmm. Wie gut taten die ersten Sonnenstrahlen da! Wohlig reckte sich der Marienkäfer auf seinem Blatt. Er genoss die lang entbehrte Sonnenwärme. Ob schon Frühlingszeit war? Oder hatte er gar den Frühlingsanfang verschlafen?
Erschrocken und neugierig zugleich setzte er sich auf und hob die Fühler. Tatsächlich. Es roch nach Frühling. Da musste er doch gleich einmal losfliegen und nach Freunden und Bekannten vom letzten Jahr Ausschau halten. Er pumpte seine Flügel auf und flog in die warme, duftende Frühlingsluft.
Schön war es, endlich wieder durch den Garten zu fliegen. Der kleine Marienkäfer freute sich. Alle Plätze, die er vom letzten Sommer her kannte, besuchte er. Zart schimmerte erstes frisches Grün auf dem wintergrauen Rasen, den Blumenbeeten, und ein erster feiner Grünschleier überzog auch schon die große Birke.
„Es ist wohl noch ein sehr früher Frühling“, brummte der Marienkäfer, der sich vergebens nach Kollegen umschaute. „Sie scheinen alle noch zu schlafen.“
Er war leicht beunruhigt. Im frühen Frühling, das wusste er aus Erzählungen, waren die Nächte noch kalt, und er hatte gerade sein Winterlager verloren.
Was tun? Kummervoll saß der kleine Käfer auf einem Birkenast und überlegte. Ich muss mir einen neuen Schlafplatz suchen, murmelte er.
Die Menschen aber hatten im Garten bereits tüchtig Frühjahrsputz gemacht. Da war kein einziges Blatt mehr, unter dem er sich hätte verkriechen können. Wo sollte er nun die kalte Nacht verbringen? Voller dunkler Vorahnungen flog er auf ein Haus zu und landete aus Versehen – plumps- auf der Nase eines weinenden Kindes.
Oh, dachte er, da ist noch jemand traurig.
Im gleichen Augenblick hörte das Kind auf zu weinen. „Ein Glückskäfer“, rief es. „Juchhu, ich habe den ersten Glückskäfer in diesem Jahr gefunden.“ Dann lief es zu seiner Mutter und sagte glücklich: „Nun muss ich nicht mehr traurig sein. Juchhu.“
„Juchu“, jubelte auch der kleine Käfer. „Ich hab das erste Kind in diesem Jahr gefunden. Ein richtiges Glückskäferglück ist das! Nun muss ich mir keine Sorgen mehr machen.“
Und das musste er auch nicht. Vorsichtig setzte das Kind den Käfer in einen bunt bepflanzten Blumentrog, der in der Ecke der warmen Terrasse stand, und der kleine Marienkäfer kuschelte sich glücklich und zufrieden zu einem Schläfchen unter das dichte Laub der Primeln.
Elke Bräunling